Dienstag, 23. November 2010

Keith Richards ausschaffen?


Während sich Revisionisten wie Thomas Haemmerli den Kopf darüber zerbrechen, ob man ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man den Gegenvorschlag annimmt (natürlich muss man ein schlechtes Gewissen haben), ist mir etwas Interessantes aufgefallen. In den 70er Jahren galt die Schweiz unter Künstlern als Hort der Freiheit. Vor allem Künstler, die bewusstseinserweiternden Substanzen nicht ablehnend gegenüber standen, schätzten die liberale Haltung der Schweizer Behörden. So sagte der geniale Gitarrist Keith Richards:

«By 1972, about the only country that I was allowed to exist in was Switzerland, which was damn boring for me, at least for the first year, because I didn't like to ski... Nine countries kicked me out, thank you very much, so it was a matter of how to keep this thing together...»

Offenbar war damals wegen der internationalen Jagd auf Rolling-Stones-Mitglieder das Fortbestehen der Gruppe gefährdet.

Nun enthält der Gegenvorschlag eine Bestimmung, die einem Keith Richards zum Verhängnis werden könnte: er sieht nämlich die Ausschaffung wegen eines «schweren Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz» vor (also auch schwere Fälle von Besitz, Anbau, Aufforderung zum Konsum usw). Ironischerweise ist der Gegenvorschlag in diesem Punkt schärfer formuliert als die Initiative, die nur den Drogenhandel als Ausschaffungsgrund vorsieht. Ein Grund mehr, um auch den Gegenvorschlag abzulehnen.

Donnerstag, 18. November 2010

222 Gründe, Heavy Metal zu hassen

Frank Schäfer weiss, was zieht: Die Liste seiner Buchpublikationen zieren so süffige Titel wie «Die Welt ist eine Scheibe. Rockroman», «Petting statt Pershing. Das Wörterbuch der Achtziger» oder «Kultbücher. Was man wirklich kennen sollte» (wo übrigens «La recherche du temps perdu» fehlt, eine unverzeihliche Auslassung). Das neuste Werk von Frank Schäfer trägt den Titel «111 Gründe, Heavy Metal zu lieben». Wieder so ein enorm knackiger Titel. Dazu möchte ich anfügen, dass ich keinen einzigen Grund kenne, aber dafür fallen mir spontan mindestens 222 Gründe ein, Heavy Metal zu hassen, darunter:

- weil sich der Musikstil seit 40 Jahren nicht wirklich weiter entwickelt hat;
- weil nur Männer diese Musik gut finden – oder Frauen, die auf dem Land leben;
- weil die Musiker so fürchterliche schüttere Matten tragen;
- weil die Musiker extrem humorlos sind und auf den Fotos nie lachen;
- weil die Musiker auf den Fotos oft ihre nackten Unterarme verschränken und grimmig dreinblicken, was total lächerlich aussieht;
- weil man mit einer Gitarre viel mehr anstellen kann;
- weil dieser Musikstil ein extrem enges Repertoire von Ausdrucksmitteln aufweist;
- weil diese Musiker und ihre Fans politisch uninteressiert sind;
- weil diese Musik immer grimmig und aggressiv ist, aber nie fröhlich oder geheimnisvoll;
- weil diese Musiker einen überholten Gitarrenfetischismus pflegen, der einen schnurstracks in die Arme von bleichen Electronica-Fricklern treibt;
- weil diese Musiker am liebsten grauenhafte schwarze Lederklamotten tragen;
- weil fast nur Männer diesen Musikstil spielen und Frauen höchstens als Sängerinnen geduldet sind;
- weil dieser Musikstil auf einem total überholten Macho-Diskurs beruht;
- weil schon die Begründer des Genres (Black Sabbath) eine enorm schmale Palette von musikalischen Ausdrucksformen aufwiesen;
- usw.

Dienstag, 16. November 2010

«Moderne Internetmenschen» und die Zeitung

Ein Burgdorfer Werbegrafiker heimste kürzlich massiven Beifall der Blogger-Szene ein. Grund: In einem Blogpost beschrieb er sich als «modernen Internetmenschen», der auf die Lektüre von Zeitungen verzichte. Er sei «nicht mehr von einem Verlagshaus abhängig», weil er sich «sein persönliches Newspaket selber im Internet zusammenstellen könne.»

Halten wir doch wieder einmal fest, wie die Medienwelt funktioniert. Als Beispiel eignet sich die Berichterstattung über die neusten Vorgänge bei der Basler Zeitung. Am Sonntag titelte die NZZ am Sonntag: «Blocher bestimmt Kurs der Basler Zeitung». Mit diesem Bericht löste die NZZ am Sonntag einen kleinen Aufstand der BaZ-Redaktion aus.

Die Medienblogs nahmen den Ball begierig auf:
- der Medienspiegel zitierte die Newsnetz-Meldung (mit Verweis auf die neckische Titelsetzung «Blocher übernimmt die Macht bei der Basler Zeitung»);
- der Journalistenschredder käute die Meldung der ZPV- und Infamy-Blogs wieder, die ihrerseits ebenfalls die Newsnetz-Meldung zitiert hatten (wenn auch mit unterschiedlich gefärbten Interpretationen);
- das Blog Arlesheim reloaded nahm sich immerhin die Mühe, die Vorarbeit der professionellen Journalisten mit einem eigenen Kommentar anzureichern;
- und das Blog buergler.net rechnete hoch, wie viele BaZ-Leser ihr Abo kündigen könnten.

Fazit: Einmal mehr brachte das von den «modernen Internet-Menschen» viel geschmähte Holzmedium die Sache ins Rollen. Die Blogger betätigten sich wie gewohnt als Wiederkäuer.

Geschenkt: Der Bericht der NZZ am Sonntag ist gratis im Netz sichtbar. Man musste die Printausgabe nicht kaufen, um den Bericht zu lesen. Doch wenn alle so denken würden wie der eingangs zitierte Burgdorfer Werbegrafiker, und wenn niemand mehr die NZZ am Sonntag kaufen würde, und wenn das Blatt folglich nicht mehr existieren könnte, dann würde den Medienblogs sofort der Stoff ausgehen. Denn auch diesmal war kein Blog in der Lage, die Enthüllungsarbeit des Holzmediums zu leisten.

Donnerstag, 11. November 2010

Dubo... Dubon... Dubonnet


In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überzogen Reklamemaler die Mauern von französischen Kleinstädten und Dörfern mit Werbung für hierzulande unbekannte ABV (Apéritifs à la base de vin) wie Byrrh und Dubonnet. Einige der legendären Schriftbilder haben bis heute überlebt, zum Beispiel diese Dubonnet-Reklame im verschlafenen Bergnest Brassac.

Foto: Bobby California (click to enlarge)

Mittwoch, 3. November 2010

Desinformiert dank Google

Im August zitierte ich einen klugen Arzt, der warnte, dass Informationen im Internet selten unabhängig von wirtschaftlichen Interessen sind und meistens nicht aktuell. Internet-gläubige Leser wie David protestierten: «Du kannst jeden Arzt fragen den du willst, jeder wird dir bestätigen, dass die Patienten seit dem Internet viel besser informiert sind. Das willst du doch nicht ernsthaft abstreiten?»

Heute erklärt im Tages-Anzeiger ein anderer Arzt, welches die fatalen Folgen sind, wenn die Patienten ihre Informationen nur noch via Google von irgendwelchen dubiosen Internetseiten beziehen:

«Oft wünschen sich Patienten eine Röhrenuntersuchung, also eine Computertomografie oder Magnetresonanz, die den Körper in genauen Details abbildet. Diesen Wünschen muss ich gelegentlich entsprechen, obwohl die medizinische Indikation dafür fehlt. Die Leute haben im Internet nachgeschaut und glauben, das gehöre unbedingt dazu.»

Das sind die Folgen des Internet: Die Kosten des Gesundheitswesens werden unnötigerweise aufgebläht, und Patienten werden unnötigerweise mit krebserregenden Strahlen belastet. Sicher wird David auch das bestreiten...