Montag, 20. Dezember 2010

Vom Ländler-Sänger zum Internet-Piraten

«Mi Vater isch en Appizäller»: Der heutige Blogwerk-Chef Andreas von Gunten in den frühen 90er Jahren bei einem Auftritt der Familie Trüeb

Es ist immer wieder erstaunlich, welche Karriereschritte manche Leute hinlegen. Zum Beispiel Andreas von Gunten. Mitte der neunziger Jahre gab er bei der Ländlergruppe «Familie Trüeb» währschaftes Schweizer Liedgut zum besten wie «Mi Vater isch en Appizäller». Das vielleicht grösste Verdienst der Freiämter Truppe war die Wiederentdeckung des grossartigen Liedermachers Artur Beul, dessen zeitlose Werke «Noch em Räge schiint d'Sunne» oder «Am Himmel Stoth es Sterndli» von Gunten & Co in entstaubten Versionen unter die Leute brachten. Unterdessen hat Andreas von Gunten der Volksmusik den Rücken gekehrt, er arbeitet heute als Geschäftsführer der Firma Blogwerk. Und legte einen bemerkenswerten Gesinnungswandel hin, der demjenigen von Filippo Leutenegger – vom Maoisten zum SVP-affinen FDP-Nationalrat – in nichts nachsteht.

Wie manche Internet-Unternehmer bekundet Andreas von Gunten ein Problem mit dem Urheberrecht. In seinem Blog kritisiert er Musiker, die sich gegen Urheberrechtsverletzungen seitens der Erben des berühmten Konzertveranstalters Bill Graham wehrten, als «Vertreter der geistigen Monopolrechte». Im Kommentarfeld seines Blogs wies ich Andreas von Gunten auf seinen Denkfehler hin:

Das ist so, wie wenn ich in die Migros gehe und Lebensmittel für 200 Franken mitnehme ohne zu zahlen, und wenn der Ladendetektiv kommt, sag ich ihm: Ich bin für die Abschaffung der Lebensmittel-Monopolrechte. Oder ich gehe in die Kronenhalle und bestelle ein feudales Menü, und wenn der Kellner mit der Rechnung kommt, sag ich ihm: Ich bin für die Abschaffung der gastronomischen Monopolrechte.

Von Guntens Antwort liess nicht lange auf sich warten:

Man kann Inhalte, sprich Ideen nicht mit materiellen Produkten vergleichen. Darum ist es eben nicht dasselbe, und ich plädiere nicht dafür, in der Migros oder im Restaurant nicht für die Produkte zu bezahlen.

Ganz schön keck, doch mir leuchtet Andreas' Antwort nicht ein. Man kann nämlich geistige Werke sehr wohl mit materiellen Gütern vergleichen: Nicht nur Metzger, Bauern oder Bäcker, sondern auch die Urheber von geistigen Werken brauchen Geld, um ihre Wohnungsmiete, Nahrungsmittel, Kleider usw. zu bezahlen. Wenn aber Leute wie Andreas von Gunten postulieren, für geistige Werke müsse man nichts bezahlen, dann führt das über kurz oder lang dazu, dass niemand mehr bereit ist, geistige Werke herzustellen. Weil man damit kein Geld mehr verdienen kann. Und dann können die Internet-User auch keine geistigen Werke mehr stibitzen – weil es keine mehr gibt.

Erstaunlich ist, dass Andreas von Gunten früher selber Urheber von geistigen Werken war. Noch vor vier Jahren jubelte er in seinem Blog:

Der Vertrag von EMI ist eingetroffen, yeah!

Andreas von Guntens Kriegserklärung an das Urheberrecht ist also nicht nur unlogisch und kurzsichtig, sondern auch inkonsequent. Mit Wonne schiesst der Blogwerk-Chef gegen das Urheberrecht, aber das hindert ihn nicht daran, mit dem Erzfeind einen Vertrag abzuschliessen. Ausgerechnet mit EMI, einer der meist kritisierten grossen Plattenfirmen. Wasser predigen und Wein trinken – oder wie sagt man einem so widersprüchlichen Verhalten?

Samstag, 11. Dezember 2010

«I'm going to have me blood changed»

«Life», die neue Autobiografie von Keith Richards, bereitet mir seit einigen Tagen ein immenses Lesevergnügen. Das hat viel zu tun mit dem unnachahmlichen lockeren Plauderton, den Keith anschlägt (Tipp: unbedingt die englische Originalversion lesen. Das ist nicht einfach ein Rockbuch wie viele andere – die Sprache ist Musik). Und es hat auch viel zu tun mit den süffigen Details aus der Geschichte der Stones, die man da und dort erfährt. Erstaunlich: Fast alle Bandmitglieder kriegen ihr Fett ab. Brian Jones war ein unzuverlässiger Psychopath. Mick Taylor war eine eindimensionale, introvertierte Gestalt. Bill Wyman war ein Frauenheld, der seinen Groupies faden Tee servierte und sie nach zehn Minuten wieder wegschickte. Mick Jagger wird in der ersten Hälfte des Buches kaum erwähnt. Nur mit Charlie Watts scheint Keith Richards immer gut ausgekommen zu sein.

Leser dieses Blogs wissen es: Die Schweiz war in den 70er Jahren das einzige Land, das den genialen Drögeler Keith Richards nicht rausschmiss. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass er im Wallis Unterschlupf fand. Das war schon immer ein Terrain, das Outlaws gut gesinnt war, siehe die Farinet-Geschichte. Aus dieser Epoche möchte ich hier ein Müsterchen wiedergeben, das Keiths Erzählton schön zeigt:

«These necromantics were given a boost by the story that I went to Switzerland to get my blood changed – perhaps the one thing everybody seems to know about me. OK for Keith, he can just go and have his blood changed and carry on. It's said to have been some transaction with the devil deep under the stones of Zurich, face white as parchment, a kind of vampire attack in reverse and the rosiness returns to his cheeks. But I never changed it! That story comes from the fact that when I was going to Switzerland, to the clinic to clean up, I had to land at Heathrow and change planes. And there's the Street of Shame following me, "Hey, Keith." I said, "Look, shut the fuck up. I'm going to have me blood changed." Boom, that's it. And then off to the plane. After that, it's like it's in the Bible or something. I just said it to fob them off. It's been there ever since.»

Keith Richards: «Life». Verlag Weidenfeld & Nicolson, ca. Fr. 46.–

Sonntag, 5. Dezember 2010

Tee im Zug nach Odessa


Von einer resoluten älteren Dame bekommt man unaufgefordert und gratis so ein schönes Teeglas serviert, wenn man im Zug von Riga nach Odessa fährt. Auch heute noch gibt es diese Direktverbindung, der Zug fährt jeden zweiten Tag. Auch das Teeglas stammt aus Sowjetzeiten: es prangen niedliche Sojusraketen auf dem Teeglashalter (podstakannik). Sieht mans auf dem Foto? Leider nicht. Aber ich schwör's, es hat Raketen drauf.

Foto: Bobby California