Samstag, 5. Juni 2010

Aufruhr am Zebrastreifen



Die Stammtische schäumen. «Sprach-Irrsinn» zetert der Blick, und auch Tagi-Redaktor Daniel Foppa spricht von «höherem Blödsinn.» Was ist passiert, das den Blutdruck der Schweizer Männer stärker hinaufjagt als gierige Abzocker und bärtige Islamisten?

Alles nur, weil die Berner Fachstelle für Gleichberechtigung einen neuen Sprachleitfaden für die Stadtverwaltung veröffentlicht hat. Die Fachstelle schlägt unter anderem vor, dass die Verwaltung «Zebrastreifen» statt «Fussgängerstreifen» schreiben soll. Berner Machos, die nicht bei der Stadt arbeiten, dürfen selbstverständlich weiterhin Fussgängerstreifen sagen. Die Burgdorfer Machos dürfen auch. Apropos Fussgängerstreifen: In Österreich sagt man «Schutzweg». Ist euch das vielleicht lieber?

Der Sprachleitfaden enthält weitere Vorschläge für geschlechtsneutrale Begriffe wie «Lernende» (statt «Lehrlinge») und «Mitarbeitende» (statt «Mitarbeiter»). Begriffe, die andernorts selbstverständlich sind. Warum also die grosse Aufregung? Keine Ahnung. Zebrastreifen ist doch nicht so schlimm. Es gibt zudem gute Gründe für eine geschlechterneutrale Sprache. Denn unsere Sprache bestimmt unser Bewusstsein.

Der Sprachwissenschaftler Benjamin Lee Whorf zeigte, dass wir so denken, wie wir reden. Whorf hat die Sprache der Hopi mit der englischen Sprache verglichen. Er stellte dabei grundlegende Unterschiede fest. Die Hopi kennen zum Beispiel nur ein Wort für Insekten und Flugzeuge. Aber die Unterschiede gehen tiefer. Die Sprache der Hopi bezieht sich nicht wie unsere auf die Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Stattdessen unterscheiden die Hopi zwischen dem Manifestierten, Objektiven (alles, was unseren Sinnen zugänglich ist) und dem sich Manifestierenden, Subjektiven (alles, was nur im Bewusstsein existiert, auch die Zukunft).

Whorf ist überzeugt: «Die Formulierung der Gedanken ist kein unabhängiger Vorgang – sie ist von der Grammatik jeder Sprache beeinflusst.» Und: «Ein Wechsel in der Sprache kann unsere Auffassung des Kosmos umformen.»

Update 1: Der Burgdorfer Polteri-Blogger Bugsierer hat dem Thema auch ein Blogpost gewidmet, in dem er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt: «an stelle von vater oder mutter soll der verbeamtete menschling jetzt von elternteil oder – kein witz – das elter sprechen.» Und Frau Zappadong plappert Bugsierers Gegeifer frischfröhlich nach. Dumm nur: Die künstliche Einzahlform «Elter» kommt im Berner Leitfaden überhaupt nicht vor. Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie locker manche Blogger mit den Fakten umgehen. Und Bloggerinnen auch.

Update 2: Man sollte auch das Positive betonen. Es gibt auch zwei andere Blogger, die nicht der Hysterie verfallen sind: die Lautsprecherin und Andi Jacomet. Jetzt sind wir schon drei.