Samstag, 27. März 2010

A notre papa


4262 Menschen wurden im letzten Jahr auf Frankreichs Strassen getötet. Wenn eine Terroristengruppe wie Al-Quaida ein solches Blutbad veranstalten würde, wäre Frankreich längst ein Polizeistaat, an jeder Strassenecke würde ein flic stehen (das gleiche gilt natürlich für die Schweiz). Dennoch würde ich lieber auf einer französischen Strasse umkommen als in der Schweiz. Denn in Frankreich werden die Verkehrstoten mit verschwenderischen Plastikblumen-Arrangements geehrt. Für die Kinder, die ohne Papa aufwachsen, sind die Plastikblumen ein schwacher Trost. Aber gut aussehen tun sie.

Foto: Am Rand der Route Départementale 20 zwischen Cessenon und Saint-Chinian im Département Hérault, März 2010

Samstag, 6. März 2010

L'enfer de Clouzot: Romy Schneiders höllischer Bootsausflug



Manchmal sind Fragmente, also unvollendete Kunstwerke, interessanter als fertige Werke. Brian Wilson's «Smile» kurbelte die Fantasie vieler Musikfreunde an, jeder konnte aus den ans Tageslicht gekommenen Puzzlesteinen sein eigenes «Smile» zusammen basteln, bevor der Meister das Projekt doch noch fertigstellte und damit den Reiz des Bastelns vernichtete.

Genau so faszinierend ist «L'enfer», der Film, den Henri-Georges Clouzot 1964 nicht fertig stellte, nachdem er zehn Stunden Filmmaterial produziert hatte. Clouzot ist mit den Worten «französischer Hitchcock» nur unzulänglich beschrieben. Seine Filme wie «Le Corbeau» oder «Salaire de la Peur» sind genau so spannend und abgründig wie Hitchcock, aber total originell. Für «L'enfer» experimentierte Clouzot wochenlang mit den avanciertesten Technikern in Pariser Studios. Er filmte Romy Schneiders Gesicht in allen Farben, mal mit verzerrenden Linsen, mal mit rotierenden Lampen und grellen Op-Art-Effekten. Mit diesen Effekten wollte Clouzot den Seelenzustand von Romy Schneiders Filmpartner Serge Reggiani darstellen, der im Film einen von krankhafter Eifersucht besessen Hotelier spielt.

Soweit der nicht besonders fesselnde Plot. Viel interessanter als die Story sind die optischen Einfälle Clouzots. Und die Geschichte der Produktion, die ein neuer Film von Serge Bromberg nacherzählt. Clouzot schaffte es, dass Serge Reggiani mitten in den Dreharbeiten das Handtuch warf und entnervt vom Set verschwand. Scheibenkleister. Ohne den Hauptdarsteller kann man einen Film nicht fertig drehen. Clouzot bestellte Jean-Louis Trintignant als «Ersatz» für Reggiani und drehte ein paar Tage lang weiter, bis ihn eine Herzattacke definitiv daran hinderte, sein ambitioniertes Projekt zu vollenden. Die Ausschnitte aus dem gefilmten Material machen klar, dass «L'enfer» einer der eigenwilligsten Filme der 60er Jahre geworden wäre.

Einige Gründe, warum der Film nicht zustande kam, zählt Bromberg auf: Clouzot und seine Techniker verloren sich in technischen Spielereien. Niemand habe genau gewusst, was eigentlich das Ziel der filmischen Experimente war, berichten Leute, die dabei waren. Zudem war Clouzot ein tyrannischer Regisseur, der seine Mitarbeiter zur Verzweiflung treiben konnte. Letztlich lässt Serge Brombergs sehr guter Film aber die interessanteste Frage offen: Wie konnte es dazu kommen, dass ein ausgebuffter Profi wie Clouzot, der seine Filme buchstäblich auf Millimeterpapier entwarf, die Kontrolle über sein Filmprojekt verlor?