Samstag, 9. Oktober 2010

Beissen Blogger die Hand, die sie füttert?

Blogger sind Wiederkäuer: Mein Befund fand ein grosses Echo. Mit vielen Beispielen konnte ich empirisch belegen, dass sich Blogger gern bei den professionellen Medien bedienen, die sie so gern schmähen. Amerikanische Wissenschaftler haben sich mit dem gleichen Thema befasst. Und sie sind zum gleichen Resultat gekommen.

Bryan Murley, Spezialist für Neue Medien an der Eastern Illinois University und Chris Roberts, Medienwissenschaftler an der University of Alabama veröffentlichten die Studie «Biting The Hand That Feeds: Blogs and Second-Level Agenda Setting». Murleys und Roberts' Befunde wurden in Schweizer Blogs unterschlagen, weil sie nicht zum Selbstbild der Blogger passen. Die Arbeit erschien vor fünf Jahren, ist aber immer noch aktuell. Denn was heute in der Schweizer Blogsosphäre abläuft, ist ein Echo dessen, was vor fünf oder zehn Jahren in den USA lief. Murley und Roberts schreiben:

«Blogger sehen sich als fünfte Macht und als Ausgleich zu den sogenannten Mainstream-Medien. Blogger prahlen gerne, sie könnten die politische Agenda beeinflussen, so wie das früher nur die Mainstream-Medien konnten.»

Die Forscher wollten herausfinden, ob dieses Selbstbild den Tatsachen entspricht. Sie untersuchten die 20 beliebtesten US-Blogs – Gawker, Gizmodo, Michelle Malkin und andere – während drei Tagen:

«Die Analyse der Blogs zeigt, dass Blogger oft Inhalte der Mainstream-Medien wiedergeben und Agenda-Setting auf einer zweiten Ebene betreiben. Fast die Hälfte (49 Prozent) der untersuchten Posts haben mindestens einen Link zu einem Mainstream-Medium. Bei politischen Blogs sind es sogar 56 Prozent. Das beweist, dass Blogger stark abhängig sind von den Mainstream-Medien für einen grossen Teil des Lesefutters, aus dem ihre Webseiten bestehen.

Ausserdem entsprechen viele der Themen in den Blogs denjenigen Themen, die vorher oder gleichzeitig in den Mainstream-Medien diskutiert wurden – ob John Bolton als US-Botschafter bei der UNO nomininert werden soll, oder ob der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus Tom DeLay sich unethisch verhalten habe. Eine Geschichte der Mainstream-Medien über die Musik in Präsident Bush's iPod wurde gleichzeitig in acht Blogs kommentiert.»

Für die Forscher ist klar:

«Die meisten Blogs hätten wenig zu sagen, wenn sie nicht Themen aus den Mainstream-Medien beziehen könnten.»

Murley und Roberts gingen auch der Frage nach, warum die Blogs so stark abhängig sind von den professionellen Medien. Ihre Antwort lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig:

«Die meisten Blogs stellen sehr wenig eigene Recherchen an. Nur sechs Prozent aller Blogeinträge enthalten selbst recherchiertes Material. Bei Politik-Blogs sind es sogar nur fünf Prozent.»

Das Fazit der beiden Medienwissenschaftler:

«Blogger sehen sich gerne als Instanz, die unabhängig ist vom Agenda-Setting der Mainstream-Medien. Doch in Tat und Wahrheit folgen sie oft Geschichten, die Reporter der Mainstream-Medien ausgegraben haben. Wenn Blogs eine Rolle haben im Agenda-Setting, ist es eine auf der zweiten Ebene – indem sie Geschichten weiter verbreiten, die die traditionellen Medien lanciert haben. Blogger sind stark abhängig von den Mainstream-Medien für einen grossen Teil ihrer Blog-Einträge. Blogger sagen uns, was wir über Themen denken sollen, von denen andere gesagt haben, dass wir darüber nachdenken sollen.»

Weil das so ist, wird auch klar, warum viele Blogger so nervös werden, wenn jetzt professionelle Medien wie das Magazin Paywalls hochziehen: Ihnen droht schlicht und einfach der Stoff auszugehen.