Ich bin kein Freund von Bestenlisten. Besonders überflüssig finde ich es, wenn die «Journalisten des Jahres» gekürt werden, eine Spezialität der Zeitschrift «Schweizer Journalist», bei der es regelmässig zu Peinlichkeiten kommt wie der Wahl von Christoph Mörgeli zum «Kolumnisten des Jahres».
Die Wahl zum «Journalisten des Jahres 2009» des deutschen Medium Magazin (Schwesterpublikation des «Schweizer Journalist») ist genauso überflüssig, aber in einem Punkt ist die Liste interessant. Unter den ausgezeichneten Journalisten finden sich nämlich drei Blogger:
- Markus Beckedahl von «Netzpolitik»: Nr. 8 in der Kategorie «Politik»;
- Marcus Anhäuser von «Plazeboalarm»: Nr. 6 in der Kategorie «Wissenschaft»;
- Hockeystick und Strappato von «Stationäre Aufnahme»: Nr. 8 in der Kategorie «Wissenschaft».
In der Begründung steht beim Blog «Stationäre Aufnahme»: «...weil sie immer wieder Skandale und Ungereimtheiten aus der Medizin und Pharmaindustrie aufdecken. So waren sie 2009 massgeblich an der Aufdeckung des Regividerm-Märchens beteiligt...»
Tatsächlich sind deutsche Blogger immer wieder in der Lage, mit aufsehen erregenden Enthüllungen aufzuwarten, das neuste Beispiel ist Deef Pirmasens, der in seinem Blog «Gefühlskonserve» Helene Hegemann's massives Plagiat aufdeckte.
In der Schweiz sind die Blogger weit entfernt davon, jemals in eine Bestenliste der Journalisten einzudringen, geschweige denn, irgendwas halbwegs Interessantes zu enthüllen. Anders als ihre deutschen Kollegen gefallen sich die meisten CH-Blogger darin, den professionellen Medien ein ums andere Mal eins ans Bein zu pinkeln und an Kleinigkeiten rumzumäkeln, bis der Letzte kapiert hat, dass die Blogger es besser wissen und alles ganz anders machen würden, wenn man sie nur liesse.
Jeden Tag könnte man eine CH-Blogschau durchführen, und man käme immer zum gleichen Resultat: Schweizer Blogs wären zum Umfallen komisch, wenn sie nicht zum Einschlafen langweilig wären.
Zum Beispiel der Bugsierer schreibt am 20. Februar: «in vancouver scheint es keinen (ausser mir) zu stören, dass einem filmteam das filmen auf einer öffentlichen strasse verboten wird. ich dachte noch: da wird dann die presse am andern tag mal genauer hinschauen. denkste, kein wort...» Big deal, Bugsierer. Natürlich ist die kanadische Zensur störend, aber bei dieser Olympiade ist soviel störend, dass man gar nicht weiss, wo man anfangen soll, sich zu stören, und noch mehr stört mich, dass der Bugsierer kein Post schreiben kann ohne seinen besserwisserischen Unterton.
Oder das von einem eigensinnigen Thurgauer Unternehmer finanzierte Blog Rebell Teevau schreibt heute: «verstanden zu werden ist eine beleidigung», ebenfalls in ach-so-moderner Kleinschreibung. Immerhin hat da einer das Talent, das Wesentliche in einen knappen Satz zu verpacken. Denn soviel ist wahr: Verstanden habe ich noch nie, was Rebell Teevau mir eigentlich sagen will. Offenbar ist das auch gar nicht das Ziel, wie ich dem Beitrag entnehme.
Oder dann Ronnie Grob, der zum x-ten Mal unbedarfte Stammtischparolen verbreitet: «Es wird zu oft vergessen: Staatsgelder sind immer Steuergelder, also Zwangsabgaben, die all jenen, die durch eine Wirtschaftsleistung Geld erwirtschaften, weggenommen wird (sic).»
Amigos – so wird das nix! Mit euren Schlafmützenblogs kommt ihr nie in die Rangliste des «Schweizer Journalisten».
Dienstag, 23. Februar 2010
Samstag, 13. Februar 2010
Bethel Henry Strousberg: Raubtierkapitalist im 19. Jahrhundert
Der Görlitzer Bahnhof in Berlin wurde wie alle schönen Berliner Bahnhöfe nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. Seine Geschichte ist besonders interessant: Er war der Berliner Ausgangspunkt des Eisenbahnimperiums von Bethel Henry Strousberg (1823–1884).Verglichen mit Strousberg war Alfred Escher ein Stümper. Strousberg überzog Mitteleuropa mit Eisenbahnlinien, die grösstenteils bis heute nützlich sind:
Wenig fehlte, und Strousberg hätte aus diesen Linien eine Verbindung zwischen den Industriezentren in Oberschlesien und an der Ruhr basteln können. Doch dazu kam es nicht. Denn Strousberg stolperte über seine undurchsichtigen und unsauberen Geschäftsmethoden. Das «System Strousberg» war teuflisch raffiniert: Die Bauunternehmer erhielten für ihre Leistungen von Strousberg kein Geld, sondern Aktien seiner Eisenbahngesellschaften, deren Wert künstlich aufgebläht war.
Die Folgen für die Investoren waren höchst erfreulich: Die Gründer der Bahngesellschaft mussten nur einen Bruchteil der Baukosten aufbringen. Sie trugen praktisch kein Risiko, konnten aber erhebliche Gewinne abschöpfen, indem sie der Bahngesellschaft Material lieferten, sich an der Bodenbeschaffung beteiligten und sich fette Provisionen zuhielten. Das unternehmerische Risiko lag grösstenteils beim Bauunternehmer. Um ihn bei der Stange zu halten, setzte Strousberg das Aktienkapital höher an als die tatsächlichen Baukosten. Wie das funktionierte, erklärt Manfred Ohlsen im Buch «Der Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg» (Berlin 1987):
«So konnte man dem Generalauftragnehmer beispielsweise für 800'000 Taler Baukosten durchaus auch eine Million Taler in Aktien erstatten. Die Differenz sollte mit Einsparungen durch den Auftragnehmer begründet werden, die er durch geschickte Senkung des Aufwandes und kostengünstigen Materialeinkauf erzielt hatte. Offiziell tat man so, als sei die Million Taler die realistisch angesetzte Bausumme. Die von Anfang an geplante Überbezahlung in Aktien ermöglichte aber auch dem Bauunternehmer, diese Aktien unter ihrem offiziellen Nennwert zu verkaufen oder beleihen zu lassen. Der Gesetzgeber war im allgemeinen nicht in der Lage, die wirklichen Kosten des Bahnbaus festzustellen, so dass die Rechnung von Strousberg aufzugehen schien.»
Der Fairness halber muss man anfügen, dass Strousberg bei manchen Linien selber als Bauunternehmer auftrat (erstmals bei der Berlin-Görlitzer Eisenbahn). Allerdings tat er dies nur, weil er niemanden fand, der den Kopf hinhalten mochte. Denn schon beim Bau der zweiten Bahnlinie ging der englische Bauunternehmer pleite, weil sich die Aktien, mit denen er bezahlt wurde, nicht verkaufen liessen. Mit offenen Augen rannte Strousberg ins Verderben:
«Ich sah voraus, dass mir Ärger, Gefahr und wahrscheinlich Verlust drohten.»
Als 1870 der deutsch-französische Krieg ausbrach, fielen auch die Kurse von Strousbergs Eisenbahn-Aktien. Die Finanzprobleme des Eisenbahnkönigs verschärften sich. Er war nicht imstande, fällige Zinsen in der Höhe von 2,5 Millionen Talern zu zahlen auf die Obligationen für das rumänischeEisenbahnnetz, das er baute. Wieder griff Strousberg zu einem Trick: Kurzerhand nahm er die unfertigen Bahnlinien in Rumänien in Betrieb, um die rumänische Regierung zu zwingen, die fälligen Zinsen zu zahlen. Denn im Konzessionsvertrag stand, dass Rumänien die Zinsen zahlen müsse, sobald die Linien in Betrieb sind. Die rumänische Regierung liess sich das nicht bieten. Sie entzog Strousberg die Konzession für das rumänische Netz. Verlorene Prozesse und das rumänische Eisenbahnabenteuer kosteten Strousberg mehrere Millionen Taler. Er musste grosse Teile seines Wirtschaftsimperiums, zu dem auch Eisenwerke und Lokomotivfabriken gehörten, verkaufen. Berliner Banken drängten Strousberg aus der Berlin-Görlitzer Eisenbahn und aus der Hannover-Altenbeker Eisenbahn. Dennoch gab sich Strousberg nicht geschlagen. Manfred Ohlsen schreibt:
Sovetsk–Tschernjachovsk (1865)
Kaliningrad–Grajevo (1866–71)
Berlin–Cottbus–Görlitz (1866/67)
Halle–Cottbus–Guben (1871/72)
Frankfurt an der Oder/Guben–Poznan (1870)
Wroclaw–Dziedzice (1868–72)
Hannover–Hameln–Altenbeken (1872)
Löhne–Hameln–Vienenburg (1875)
Kaliningrad–Grajevo (1866–71)
Berlin–Cottbus–Görlitz (1866/67)
Halle–Cottbus–Guben (1871/72)
Frankfurt an der Oder/Guben–Poznan (1870)
Wroclaw–Dziedzice (1868–72)
Hannover–Hameln–Altenbeken (1872)
Löhne–Hameln–Vienenburg (1875)
Wenig fehlte, und Strousberg hätte aus diesen Linien eine Verbindung zwischen den Industriezentren in Oberschlesien und an der Ruhr basteln können. Doch dazu kam es nicht. Denn Strousberg stolperte über seine undurchsichtigen und unsauberen Geschäftsmethoden. Das «System Strousberg» war teuflisch raffiniert: Die Bauunternehmer erhielten für ihre Leistungen von Strousberg kein Geld, sondern Aktien seiner Eisenbahngesellschaften, deren Wert künstlich aufgebläht war.
Die Folgen für die Investoren waren höchst erfreulich: Die Gründer der Bahngesellschaft mussten nur einen Bruchteil der Baukosten aufbringen. Sie trugen praktisch kein Risiko, konnten aber erhebliche Gewinne abschöpfen, indem sie der Bahngesellschaft Material lieferten, sich an der Bodenbeschaffung beteiligten und sich fette Provisionen zuhielten. Das unternehmerische Risiko lag grösstenteils beim Bauunternehmer. Um ihn bei der Stange zu halten, setzte Strousberg das Aktienkapital höher an als die tatsächlichen Baukosten. Wie das funktionierte, erklärt Manfred Ohlsen im Buch «Der Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg» (Berlin 1987):
«So konnte man dem Generalauftragnehmer beispielsweise für 800'000 Taler Baukosten durchaus auch eine Million Taler in Aktien erstatten. Die Differenz sollte mit Einsparungen durch den Auftragnehmer begründet werden, die er durch geschickte Senkung des Aufwandes und kostengünstigen Materialeinkauf erzielt hatte. Offiziell tat man so, als sei die Million Taler die realistisch angesetzte Bausumme. Die von Anfang an geplante Überbezahlung in Aktien ermöglichte aber auch dem Bauunternehmer, diese Aktien unter ihrem offiziellen Nennwert zu verkaufen oder beleihen zu lassen. Der Gesetzgeber war im allgemeinen nicht in der Lage, die wirklichen Kosten des Bahnbaus festzustellen, so dass die Rechnung von Strousberg aufzugehen schien.»
Der Fairness halber muss man anfügen, dass Strousberg bei manchen Linien selber als Bauunternehmer auftrat (erstmals bei der Berlin-Görlitzer Eisenbahn). Allerdings tat er dies nur, weil er niemanden fand, der den Kopf hinhalten mochte. Denn schon beim Bau der zweiten Bahnlinie ging der englische Bauunternehmer pleite, weil sich die Aktien, mit denen er bezahlt wurde, nicht verkaufen liessen. Mit offenen Augen rannte Strousberg ins Verderben:
«Ich sah voraus, dass mir Ärger, Gefahr und wahrscheinlich Verlust drohten.»
Als 1870 der deutsch-französische Krieg ausbrach, fielen auch die Kurse von Strousbergs Eisenbahn-Aktien. Die Finanzprobleme des Eisenbahnkönigs verschärften sich. Er war nicht imstande, fällige Zinsen in der Höhe von 2,5 Millionen Talern zu zahlen auf die Obligationen für das rumänischeEisenbahnnetz, das er baute. Wieder griff Strousberg zu einem Trick: Kurzerhand nahm er die unfertigen Bahnlinien in Rumänien in Betrieb, um die rumänische Regierung zu zwingen, die fälligen Zinsen zu zahlen. Denn im Konzessionsvertrag stand, dass Rumänien die Zinsen zahlen müsse, sobald die Linien in Betrieb sind. Die rumänische Regierung liess sich das nicht bieten. Sie entzog Strousberg die Konzession für das rumänische Netz. Verlorene Prozesse und das rumänische Eisenbahnabenteuer kosteten Strousberg mehrere Millionen Taler. Er musste grosse Teile seines Wirtschaftsimperiums, zu dem auch Eisenwerke und Lokomotivfabriken gehörten, verkaufen. Berliner Banken drängten Strousberg aus der Berlin-Görlitzer Eisenbahn und aus der Hannover-Altenbeker Eisenbahn. Dennoch gab sich Strousberg nicht geschlagen. Manfred Ohlsen schreibt:
«Wie ein Spieler, der mehrmals hintereinander gewonnen hat, so glaubte auch er ein System zu haben, mit dem man die Spielbank sprengen konnte.»
Trotz Krieg und Börsenkrach konnte sich Strousberg über Wasser halten. In Berlin wollte zwar niemand mehr mit ihm geschäften, aber er erhielt Kredite in Moskau und erhoffte sich finanzielle Unterstützung einer Wiener Bank. Dank dem russischen Geld konnte er im böhmischen Zbiroh, wo er ein Schloss besass, einen grossen Industriekomplex bauen mit Hochöfen, einer Koksfabrik, Walzwerken, Sägereien und einer Arbeitersiedlung für 5000 Menschen. Strousberg stieg auch wieder ins Eisenbahngeschäft ein: Er übernahm den Bau der Linien Mehltheuer – Weida, Bratislava – Trenčín (Waagtalbahn) und Paris – Narbonne. Doch diesmal funktionierte das «System Strousberg» und seine immer gewagtere Kreditakrobatik nicht mehr: Im Oktober 1875 wurde er in St. Petersburg verhaftet und in Schuldhaft gesetzt. Der Richter warf ihm vor, durch «Geschenke» an Bankdirektoren ungedeckte und unberechtigte Kredite erhalten zu haben. Im November 1875 wurde Strousberg wegen Bestechung angeklagt. Kurz darauf wurde in Berlin und Prag Konkursverfahren eingeleitet. Die Summe der Schulden lag bei rund 100 Millionen Mark.
Wegen Strousbergs Problemen gingen auch zwei Banken in Moskau und Berlin pleite, die ihm Kredite gewährt hatten. Nach einem Jahr Haft wurde Strousberg schuldig gesprochen, zur Zahlung einer hohen Summe für die ungenügende Deckung der Kredite verpflichtet und aus Russland ausgewiesen. Erst im Herbst 1877 kam er frei. Strousberg gründete eine Zeitung und machte wieder das, was er schon getan hatte, bevor er Eisenbahnkönig wurde: Er arbeitete als Journalist.
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