Freitag, 1. Juli 2011

Die Erfindung von ABBA

Agnetha in der Küche: Man nehme einen Schuss Glamrock, eine Prise Phil Spector, alles kräftig umrühren...

Ich konnte nicht widerstehen, als ich im Jecklin eine Box mit allen ABBA-LP's stehen sah. 296 Franken für neun LPs ist ein fairer Preis. Her damit. Schliesslich steht heute in jedem Haushalt eine verstaubte Greatest-Hits-CD von ABBA. Dann ist es sicher erlaubt, sich das Gesamtwerk reinzuziehen. Vor allem, weil damit ein Erkenntnisgewinn verbunden ist. Ich wollte herausfinden, wie das ABBA-Konzept entwickelt wurde, anders gesagt: Wie ABBA erfunden wurde. Mit den LPs kann man die Entstehungsgeschichte besser verstehen als mit einer Greatest-Hits-Compilation.

Vor ABBA: Björn und Benny als Duo...
Anfang der 70er Jahre taten sich Björn und Benny zusammen und nahmen als Duo weichgespülte, wenig originelle Folk-Pop-Songs auf («She's My Kind Of Girl», «Love Has Its Ways»), die an die Schlager zweitrangiger englischer Gruppen der 60er Jahre erinnern. Mit diesem schwachen Material war eine internationale Karriere undenkbar. Nur der Refrain der 1972 veröffentlichten Single «En Carousel» erinnert an die ersten ABBA-Hits: Zwar ist die Struktur des Refrains simpel, aber ein Schuss Glamrock bringt Pfiff in die Sache.

... und mit Agnetha und Frida
Vorwärts gings erst, als Björn und Benny zwei Sängerinnen engagierten. Das war eine geniale Idee, denn die beiden Männer hatten doch eher fade Stimmen. Neben dem Einsatz von Glamrock-Stilelementen war der Beizug von Agnetha und Frida der zweite entscheidende Schritt bei der Erfindung von ABBA. Wie wichtig die Sängerinnen waren, zeigt das Lied «People Need Love». Ihre stimmliche Brillanz macht das Lied zum Ereignis. Die Studioproduktion ist auch wesentlich üppiger als die früheren Aufnahmen und erinnert an das Wall-of-Sound-Konzept von Phil Spector. Die Strophen beginnen zum Beispiel mit einem rückwärts eingespielten Akkord.

LP «Ring Ring» (1973)
Offenbar noch für den schwedischen Markt produziert und mit den Namen «Björn Benny & Agnetha Frida» bedruckt, beginnt die LP mit einer schwedisch gesungenen Version von «Ring Ring». Erstmals ist hier alles da, was ABBA berühmt machte: ein hämmernder Glamrock-Rhythmus, eine eingängige Melodie, die von Phil Spector beeinflusste Produktion, dazu der euphorisierende Gesang der beiden Frauen, und auch die beiden Männer dürfen kurz dazwischen blöken. Ansonsten ist die Platte durchzogen. Sie enthält auch den Hit «Nina Pretty Ballerina». Die anderen Songs sind weniger ABBA-typisch, aber durchaus originell und angenehm anzuhören. Das Stück «Disillusion» zeigt, dass auch Agnetha eine talentierte Songschreiberin war, sie durfte dieses Talent aber, abgesehen von diesem einen Stück, später nicht mehr zur Geltung bringen. Die Rollen waren verteilt: Die Männer komponieren, die Frauen singen.

LP «Waterloo» (1974)
Inzwischen hatte die Gruppe auch den Namen ABBA gewählt (und zum Glück Namen wie FABB oder Alibaba verworfen). Waterloo ist ein klassisches All-Killer-No-Filler-Album. Auch weniger spektakuläre Nummern wie «King Kong Song» rocken flott. In dichter Abfolge enthält die Platte bewegende Pop-Melodramen wie «My Mama Said» oder «Suzy-Hang-Around». Die Sehnsucht der in der Hochkonjunktur wohlhabend gewordenen Kleinbürger nach südlichen Ländern wird gekonnt bedient mit Schmachtfetzen à la «Hasta Manana» oder «Sitting In The Palmtree». Herrlich. Nur eine Frage bleibt offen: Woher bezogen zwei Songschreiber, die jahrelang fade Folk-Pop-Songs am Fliessband produziert hatten, plötzlich die Inspirationen, um ein Album mit epochalen, bewegenden Songs zu füllen? Die Antwort auf diese Frage kennen nur Björn und Benny. Vielleicht wissen sie es selber nicht.

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