Mittwoch, 6. April 2011

Zehn Unterschiede zwischen Bloggern und Journalisten


Guardian-Chefredaktor Alan Rusbridger schrieb kürzlich einen Artikel mit dem Titel «Gutenberg für alle» in der Zeitschrift «Der Freitag». Sein Text wurde von einigen Bloggern mit warmem Applaus quittiert:

«Auf der einen Seite hat das Web 2.0 wenig Geheimnisvolles. Es geht um den Umstand, dass auch andere Leute gerne Dinge machen, die wir Journalisten machen. Wir erschaffen gerne Dinge – Worte, Bilder, Filme, Grafiken – und veröffentlichen sie. Das macht offensichtlich auch vielen anderen Menschen Spaß. Seit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg hatten sie dazu 500 Jahre lang keine Möglichkeit. Aber jetzt können die Menschen sogar viel mehr und einfacher veröffentlichen als jemals zuvor. Und dieser revolutionäre Umbruch ereignete sich während eines Wimpernschlages.»

Diese Passage in Rusbridgers Text hat zu Missverständnissen Anlass gegeben. So schreibt der Mittelschullehrer und Blogger Philippe Wampfler in seinem Blog:

«Ich mache Dinge zum Spass, für die Journalisten bezahlt werden.»

Nichts ist falscher. Zwar gehört Philippes Blog zu den qualitativ besseren Schweizer Blogs. Doch was Philippe Wampfler in seiner Freizeit macht, also Bloggen, hat mit professionellem Journalismus nur ganz wenig zu tun. Da ich beide Seiten kenne, da ich Journalist und Blogger bin, ist es mir ein wichtiges Anliegen, die wesentlichen Unterschiede zwischen Blogs und professionellem Journalismus zu zeigen:

1. Journalisten wenden einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit für die Themenfindung auf. Um spannende Themen zu finden, sprechen Journalisten mit vielen Leuten, lesen so viele Zeitungen und Zeitschriften wie möglich, schauen TV-Sendungen an, durchkämmen Pressetexte von Behörden, Organisationen und Unternehmen, lesen Tweets und Blogs.
Blogger suchen hingegen nicht systematisch Themen. Sie greifen nur Themen auf, auf die sie zufälligerweise stossen, in der Regel, wenn sie ihre Lieblingszeitung lesen.

2. Journalisten haben einen brennenden Ehrgeiz: Sie wollen möglichst viele Primeurs landen, das heisst, sie wollen über Themen schreiben, die noch kein anderer Journalist behandelt hat.
Blogger begnügen sich damit, Artikel über Themen zu schreiben, die schon zahlreiche Journalisten vor ihnen aufgegriffen haben.

3. Journalisten besprechen die Themenwahl in langen Sitzungen mit Kollegen. Das fördert die Qualität, denn oft hat ein Kollege noch eine zusätzliche Idee – oder er findet ein Argument, das gegen einen Themenvorschlag spricht.
Blogger besprechen ihre Themenwahl mit niemandem. Sie schreiben, was sie wollen.

4. Bevor sie einen Artikel schreiben, recherchieren Journalisten sehr lange, oft mehrere Tage oder Wochen lang, bis sie so viel wie möglich über ihr Thema wissen. Sie suchen und lesen Fachliteratur, sprechen mit Betroffenen, mit Behörden, mit Unternehmen, mit Experten, mit Schurken usw.
Blogger recherchieren kaum. Es genügt ihnen meistens, wenn sie einen Zeitungsartikel abschreiben können und ihre persönliche Meinung dazu formulieren können. Fakten kümmern sie nicht gross.

5. Journalisten enthüllen Dinge, die die meisten Leser nicht wissen. Ein bekanntes Beispiel: Die Washington Post konnte beweisen, dass das Weisse Haus hinter dem Watergate-Einbruch stand.
Blogger enthüllen nichts ausser ihrer persönlichen Meinung zu Themen, die schon längst bekannt sind. Blogger sind nur extrem selten in der Lage, Skandale publik zu machen.

6. Journalisten kritisieren oft Firmen oder Behörden. Deshalb nennt man die Medien nicht umsonst die «Vierte Gewalt». Dabei müssen die Journalisten ihre Kritik immer mit Fakten unterfüttern, damit sie nicht angreifbar werden.
Blogger kümmern sich nicht um Fakten. Sie drücken nur ihre subjektive Meinung aus. Deshalb gehören Blogs nicht zur «Vierten Gewalt», sondern sind eher vergleichbar mit Leserbrief-Spalten.

7. Journalisten lassen ihre Texte von Kollegen in der Redaktion gegenlesen, oft zwei- oder dreimal. Das verbessert die Qualität der Texte enorm. Denn Kollegen machen auf sprachliche oder inhaltliche Fehler aufmerksam, die dem Journalisten sonst entgehen würden.
Blogger feuern ihre Texte ohne Gegenlesen raus.

8. Journalisten sind verantwortlich für ihre Arbeit. Sie müssen sich nach der Publikation mit Kritik an ihren Texten auseinander setzen. Manchmal müssen sie sich deshalb sogar vor Gericht verantworten.
Blogger müssen das nicht, denn ihre Texte tun niemandem weh.

9. Professionelle Medienarbeit ist Aufklärung im Dienst der Allgemeinheit. Es ist harte Knochenarbeit und verursacht bei den Journalisten viel Stress, schlaflose Nächte und erhöhten Alkoholkonsum. Deshalb gehören die Journalisten zu den ungesündesten Berufsleuten.
Blogger sind nie gestresst.

10. Die Pflichten und Rechte der Journalisten sind klar definiert.
Blogger nehmen sich viele Rechte heraus und haben keine Pflichten.

Ich hoffe, dass ich verständlich machen konnte, dass man Bloggen nicht mit professionellem Journalismus vergleichen kann. Blogs können den professionellen Journalismus niemals ersetzen.