Guardian-Chefredaktor Alan Rusbridger schrieb kürzlich einen Artikel mit dem Titel «Gutenberg für alle» in der Zeitschrift «Der Freitag». Sein Text wurde von einigen Bloggern mit warmem Applaus quittiert:
Diese Passage in Rusbridgers Text hat zu Missverständnissen Anlass gegeben. So schreibt der Mittelschullehrer und Blogger Philippe Wampfler in seinem Blog:
«Ich mache Dinge zum Spass, für die Journalisten bezahlt werden.»
Nichts ist falscher. Zwar gehört Philippes Blog zu den qualitativ besseren Schweizer Blogs. Doch was Philippe Wampfler in seiner Freizeit macht, also Bloggen, hat mit professionellem Journalismus nur ganz wenig zu tun. Da ich beide Seiten kenne, da ich Journalist und Blogger bin, ist es mir ein wichtiges Anliegen, die wesentlichen Unterschiede zwischen Blogs und professionellem Journalismus zu zeigen:
1. Journalisten wenden einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit für die Themenfindung auf. Um spannende Themen zu finden, sprechen Journalisten mit vielen Leuten, lesen so viele Zeitungen und Zeitschriften wie möglich, schauen TV-Sendungen an, durchkämmen Pressetexte von Behörden, Organisationen und Unternehmen, lesen Tweets und Blogs.
Blogger suchen hingegen nicht systematisch Themen. Sie greifen nur Themen auf, auf die sie zufälligerweise stossen, in der Regel, wenn sie ihre Lieblingszeitung lesen.
2. Journalisten haben einen brennenden Ehrgeiz: Sie wollen möglichst viele Primeurs landen, das heisst, sie wollen über Themen schreiben, die noch kein anderer Journalist behandelt hat.
Blogger begnügen sich damit, Artikel über Themen zu schreiben, die schon zahlreiche Journalisten vor ihnen aufgegriffen haben.
3. Journalisten besprechen die Themenwahl in langen Sitzungen mit Kollegen. Das fördert die Qualität, denn oft hat ein Kollege noch eine zusätzliche Idee – oder er findet ein Argument, das gegen einen Themenvorschlag spricht.
Blogger besprechen ihre Themenwahl mit niemandem. Sie schreiben, was sie wollen.
4. Bevor sie einen Artikel schreiben, recherchieren Journalisten sehr lange, oft mehrere Tage oder Wochen lang, bis sie so viel wie möglich über ihr Thema wissen. Sie suchen und lesen Fachliteratur, sprechen mit Betroffenen, mit Behörden, mit Unternehmen, mit Experten, mit Schurken usw.
Blogger recherchieren kaum. Es genügt ihnen meistens, wenn sie einen Zeitungsartikel abschreiben können und ihre persönliche Meinung dazu formulieren können. Fakten kümmern sie nicht gross.
5. Journalisten enthüllen Dinge, die die meisten Leser nicht wissen. Ein bekanntes Beispiel: Die Washington Post konnte beweisen, dass das Weisse Haus hinter dem Watergate-Einbruch stand.
Blogger enthüllen nichts ausser ihrer persönlichen Meinung zu Themen, die schon längst bekannt sind. Blogger sind nur extrem selten in der Lage, Skandale publik zu machen.
6. Journalisten kritisieren oft Firmen oder Behörden. Deshalb nennt man die Medien nicht umsonst die «Vierte Gewalt». Dabei müssen die Journalisten ihre Kritik immer mit Fakten unterfüttern, damit sie nicht angreifbar werden.
Blogger kümmern sich nicht um Fakten. Sie drücken nur ihre subjektive Meinung aus. Deshalb gehören Blogs nicht zur «Vierten Gewalt», sondern sind eher vergleichbar mit Leserbrief-Spalten.
7. Journalisten lassen ihre Texte von Kollegen in der Redaktion gegenlesen, oft zwei- oder dreimal. Das verbessert die Qualität der Texte enorm. Denn Kollegen machen auf sprachliche oder inhaltliche Fehler aufmerksam, die dem Journalisten sonst entgehen würden.
Blogger feuern ihre Texte ohne Gegenlesen raus.
8. Journalisten sind verantwortlich für ihre Arbeit. Sie müssen sich nach der Publikation mit Kritik an ihren Texten auseinander setzen. Manchmal müssen sie sich deshalb sogar vor Gericht verantworten.
Blogger müssen das nicht, denn ihre Texte tun niemandem weh.
9. Professionelle Medienarbeit ist Aufklärung im Dienst der Allgemeinheit. Es ist harte Knochenarbeit und verursacht bei den Journalisten viel Stress, schlaflose Nächte und erhöhten Alkoholkonsum. Deshalb gehören die Journalisten zu den ungesündesten Berufsleuten.
Blogger sind nie gestresst.
10. Die Pflichten und Rechte der Journalisten sind klar definiert.
Blogger nehmen sich viele Rechte heraus und haben keine Pflichten.
Ich hoffe, dass ich verständlich machen konnte, dass man Bloggen nicht mit professionellem Journalismus vergleichen kann. Blogs können den professionellen Journalismus niemals ersetzen.
Es ist schade, dass Du Deine Energie in Diskussionen steckst, die Mitte des letzten Jahrzehnts bis zum Abwinken ausdiskutiert wurden. Tatsache ist, dass anspruchsvoller Journalismus überall aufblühen kann, dazu braucht es keine Druckerpressen. Dein Text bekräftigt Vorurteile und schafft Grenzen, wo es keine gibt. Es ist Unsinn, zu glauben, etwas sei journalistischer, nur weil es auf Papier erscheint.
AntwortenLöschenRonnie Grob > Schön, dass Du Dich wieder zu Wort meldest. Du hast leider noch nicht verstanden, was ich sagen wollte.
AntwortenLöschen«Es ist Unsinn, zu glauben, etwas sei journalistischer, nur weil es auf Papier erscheint»: Das habe ich nicht gesagt. Das Wort «Papier» erscheint in meinem Blogpost kein einziges Mal. Es geht nicht um das Trägermedium (Papier oder Bildschirm), sondern um die Ansprüche an die Arbeit. Und die Ansprüche der Blogger unterscheiden sich gewaltig von den Ansprüchen, die an Journalisten gestellt werden und die Journalisten an sich selber stellen. **Das** ist das Thema meines Blogbeitrags. Nicht Papier vs. Bildschirm. Warum ist das so schwierig zu kapieren?
«Diskussionen, die Mitte des letzten Jahrzehnts bis zum Abwinken ausdiskutiert wurden»: Ich beziehe mich nicht auf Diskussionen vom letzten Jahrzehnt, sondern auf einen Artikel, der vor wenigen Tagen publiziert und von vielen Bloggern gelobt und falsch verstanden wurde.
«Tatsache ist, dass anspruchsvoller Journalismus überall aufblühen kann, dazu braucht es keine Druckerpressen»: Das habe ich auch nicht gesagt. Tatsache ist aber, dass anspruchsvoller Journalismus und Bloggen sehr wenig miteinander zu tun haben. Das wollte ich beweisen.
«Dein Text bekräftigt Vorurteile und schafft Grenzen, wo es keine gibt»: Stimmt nicht. Ich kenne beide Seiten: den Journalismus und das Bloggen. Also weiss ich aus eigener Erfahrung, dass es zwischen diesen Sphären sehr grosse Unterschiede gibt. Das sind eben keine Vorurteile, sondern es sind Tatsachen, die ich jeden Tag von neuem erlebe.
Aha, so ist das also, Bobby California, wenn du blogst. Da setzest du einfach Behauptungen in die Welt, die im Kleinen für gewisse JournalistInnen zutreffen mögen, in der Hektik der abgespeckten Tagesmedienredaktionen aber leider nur noch zu einem sehr kleinen Teil der Realität entsprechen.
AntwortenLöschenWie ist es wohl, wenn du gerade den Hut des Journalisten trägst? Leider wissen wir das nicht, denn du lüftest im Gegensatz zu Kohlenklau deine Maske nicht, ja, sogar auf der Foto musst du dich verstecken.
Kohlenklau greift als Blogger sehr wohl gesellschaftlich relevante Themen auf. Ob er sie sucht oder zufällig darüber stolpert, ist gar nicht so wichtig. Wichtig sind die Relevanz und die Seriosität, mit denen er recherchiert, zitiert und kommentiert.
Kannst du deine Behauptungen mit Quellenangaben (Namen, Medientitel etc.) untermauern? Und öffentlich machen, wer du bist? Dann sehen wir mal weiter. Ich freue mich – als Journalistin! – auf und über Kohlenklaus Postings.
Anne-Regula Keller > Ich arbeite seit ca. 15 Jahren als Journalist, sowohl tagesaktuell als auch bei Zeitschriften. Ich kenne auch die Hektik abgespeckter Zeitungsredaktionen aus eigener Erfahrung. Aber das ändert nichts daran, dass ambitionierte Journalisten eine Leidenschaft in sich spüren und Dinge machen wollen, von denen die meisten Blogger keine Ahnung haben.
AntwortenLöschenNatürlich ist im Journalismus nicht alles zum Besten bestellt, heute weniger denn je. Aber es macht mich sauer, wenn ich lesen muss, dass Blogger «die gleiche Arbeit machen» wie Journalisten. Dann sag ich eben: Das stimmt nicht! Die Idee, dass man im Internet gratis kriegen könne, wofür man Geld zahlen muss, wenn es von Journalisten stammt, ist total falsch und ist mitschuldig an der finanziellen Misere des Journalismus.
Wer ich bin, ist hingegen total sekundär. Jede Journalistin und jeder Journalist, der einen Funken Berufssstolz in sich trägt, wird Dir das Gleiche erzählen.
Genau so habe ich mir deine Reaktion vorgestellt. Schade, dass du weiterhin anonym auf Gemeinplätzen beharrst. Irgendwie klingt es für mich, als habest du furchtbar Angst, die Blogger wollten dir was wegnehmen.
AntwortenLöschenWarum sollen nicht beide voneinander profitieren. Journis können auch mal ein Blogthema weiterdrehen, ohne dass ihnen ein Stein aus der Krone fällt. Das wird ohnehin Zukunft sein.
Hauptsache bleibt, dass echte Journalisten alles tun müssen, um Qualität zu garantieren. Blogger dürfen das gerne auch. Aber es ist eine Auszeichnung, wenn sie es tun. Sie sind dazu nicht verpflichtet. Da geniessen sie im Vergleich zu den Profi-Journis eine grössere Freiheit. Im Gegenzug bekommen sie für ihr Werk als Lohn in der Regel bestenfalls Anerkennung.
http://pressthink.org/2011/03/the-psychology-of-bloggers-vs-journalists-my-talk-at-south-by-southwest/
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