Freitag, 1. Oktober 2010

Die tätowierte Langspielplatte

Tattoo in der Auslaufrille: Die LP «Emitt Rhodes» von – richtig geraten – Emitt Rhodes. (Foto: Bobby California. Click to Enlarge)

Vinylplatten haben viele Vorteile gegenüber CDs und MP3s: Sie sind ein viel sinnlicheres Medium, gehen weniger schnell kaputt, klingen besser und sind schöner verpackt. Und man kann sie tätowieren.

Mir wurde erst heute bewusst, dass ich eine tätowierte Platte besitze. Es ist die erste Soloplatte des amerikanischen Pop-Genies Emitt Rhodes. Nie hat jemand so breitenwirksame Musik gemacht, die so wenig Breitenwirkung hatte. Und deshalb kennt heute kaum jemand noch Emitt Rhodes. Obwohl seine melodiöse, leicht monomanische Musik sicher vielen Menschen gefallen würde.

Hinter dem Tattoo auf Emitt Rhodes' erster Soloplatte verbirgt sich eine menschliche Tragödie. Rhodes war ein Allround-Künstler: Er schrieb nicht nur alle seine Songs selber. Er nahm auch alle Instrumente bei sich zuhause selber auf und sang dazu. Rhodes war kein Virtuose, aber er spielte gut Piano, Gitarre, Bass und auch Schlagzeug. Er amtierte auch als Produzent und Toningenieur. Er ging also ähnlich vor wie Paul McCartney bei seinen ersten Soloalben. Die Musik klingt auch (gelinde gesagt) nicht unähnlich. Doch Emitt Rhodes ist kein Epigone: Er hat seine Soloplatten aufgenommen, bevor Paul McCartney dasselbe tat.

Die Plattenfirma Dunhill nahm Emitt Rhodes 1968 unter Vertrag. Sie zwang dem Multitalent einen absolut katastrophalen Vertrag auf: Dunhill verlangte nämlich von Rhodes, dass er sechs Alben ablieferte – verteilt auf drei Jahre! Emitt Rhodes musste also jedes Jahr zwei LPs aufnehmen, um den Vertrag zu erfüllen. Ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man alles selber macht. Rhodes schaffte nur ein Album pro Jahr. Er nahm für Dunhill drei fantastische LPs auf. Dann war er ausgebrannt. Die Plattenfirma hatte ihr Wunderkind ausgepresst wie eine Zitrone – und sie verklagte es zum Dank noch wegen Vertragsbruchs. Nach drei Jahren Arbeit für Dunhill war Emitt Rhodes ein psychisches Wrack, und er ist es heute noch.

Und so kam das dekorative Tattoo auf die Platte: Die Musikergewerkschaft verlangte, dass alle Platten in professionellen Studios aufgenommen werden. Emitt Rhodes lag quer mit seinem Heimstudio. Deshalb durfte auf der Plattenhülle kein Hinweis erscheinen, dass Rhodes die Musik zuhause aufgenommen hatte. Dafür konnte er den Cutting Engineer überreden, ein Tattoo in die Auslaufrille zu ritzen mit dem Text: RECORDED AT HOME.

Mixdown-Engineer der LP war übrigens Curt Boettcher, der ebenso geniale kalifornische Musiker, der diesem Blog den Namen gegeben hat.


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