Dienstag, 7. Juni 2011

Die personalisierte Zeitung

In der Syndicom-Mitgliederzeitung und jetzt auch noch in der Medienwoche durfte sich Nick Lüthi über einen Lieblingsmythos der dogmatischen Internet-Fans auslassen: die «personalisierte Zeitung». Die neue Wortschöpfung bedeutet, dass man nicht mehr eine ganze Zeitung kauft, sondern nur noch einzelne Artikel, die den Leser vermeintlich besonders interessieren. Nick Lüthi meldet, die Post wolle eine solche personalisierbare Tageszeitung anbieten. Der Test soll zeigen, ob die Zeitungsleserinnen und -Leser eine solche Zeitung wünschen.

Ob Lüthi diese «personalisierbare» Zeitung gut findet, sagt er nicht. Man darf davon ausgehen, dass er das Experiment befürwortet. Denn bei den Internet-Fans gehört es längst zum guten Ton, dass man die personalisierte Zeitung gut findet. Es gab ja seit den Punks keine gesellschaftliche Gruppe mehr, die so homogen denkt und argumentiert wie die dogmatischen Internet-Fans (d.h. die Internet-Aktivisten, die Leute, die sich zur sogenannten «Netzgemeinde» zugehörig fühlen).

Doch ist die personalisierte Zeitung wirklich ein Segen für die Menschheit? Cass Sunstein, Jus-Professor der Universität Chicago hat sich dazu Gedanken gemacht. Als er sich zum Thema äusserte, wurde er von den Digital-Fans als «Nazi» beschimpft.

Cass Sunstein hat etwas getan, was viele Internet-Anhänger nicht ausstehen können: Er hat Probleme benannt, die vom Internet verursacht oder verstärkt werden. Und das ist nicht erlaubt in den Augen der «Netzgemeinde». Für sie gilt: Das Internet ist grundsätzlich ein Segen für die Menschheit, weil sie wollen, dass das so ist. Doch Cass Sunstein weist auf eine folgenschwere Entwicklung hin:

«Mit der sinkenden Bedeutung der General-Interest-Magazine und -Zeitungen und mit der Blüte individuell zugeschnittener Programme treffen unterschiedliche Gruppen eine grundlegend unterschiedliche Wahl.»

Diese Entwicklung sei gefährlich, sagt Sunstein, weil sie im Extremfall zu Radikalisierung und Intoleranz führen könne:

«Die meisten Weissen vermeiden Nachrichten und Unterhaltung, die auf ein afro-amerikanisches Publikum zugeschnitten sind.»

Die personalisierte Zeitung, bei der man nur noch die Stoffe abonniert, die einen vermeintlich interessieren und bei der man alles ausblenden kann, was einen vermeintlich nicht interessiert, diese Zeitung bedrohe die Demokratie, sagt Cass Sunstein.

2 Kommentare:

  1. Aha, und wie bringst du die weissen Leser eines General-Interest-Mediums dazu, die Nachrichten und Unterhaltung, die auf ein afro-amerikanisches Publikum zugeschnitten sind, auch wirklich zu lesen und nicht einfach zu überblättern?

    Und: Träfe Sunsteins Argument nicht auch auf eine NZZ oder einen Blick zu, deren Leserschaft aus zwei völlig unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen besteht, die die Nachrichten, die die jeweils andere Gruppe interessiert, meiden?

    (Ich gebe dir nochmals eine Chance, differenziert zu argumentieren.)

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  2. David > Dass du das Problem bestreitest, war vorhersehbar. Aber deine Reaktion ist leider schon fast rassistisch. Gegenfrage: Warum sollen Weisse nicht auch Nachrichten lesen, die vor allem Schwarze, Latinos, Indianer oder Asiatischstämmige betreffen? Genau das ist das Problem der personalisierten News: Dass man sich nur noch für sein eigenes Gärtli interessiert. Hingegen ist eine Zeitung mit einem fixen Angebot auch eine Chance, sich für andere Leute zu interessieren und Vorurteile abzubauen.

    «Träfe Sunsteins Argument nicht auch auf eine NZZ oder einen Blick zu, deren Leserschaft aus zwei völlig unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen besteht, die die Nachrichten, die die jeweils andere Gruppe interessiert, meiden»: Das stimmt so nicht. Die Manager, die den Blick in die NZZ einwickeln, sind legendär. Auch der Blick enthält politische Themen, wenn auch anders aufbereitet, zB heute: «Atom-Ausstieg ja oder nein? Britschgi nimmt Nationalräte in die Zange». Sunsteins Argument träfe erst dann auf den Blick oder die NZZ zu, wenn diese Zeitungen personalisiert erscheinen, also wenn man im Blick zB nur noch Klatschmeldungen oder Fussballartikel kaufen kann.

    «Ich gebe dir nochmals eine Chance, differenziert zu argumentieren»: Ich brauche keine Chancen von David Herzog. Ich bringe meine Argumente, du bringst deine. Aber bitte auf anständige Art. Deinen letzten Kommentar habe ich gelöscht, weil er einen persönlichen Angriff enthielt. Ich gebe dir nochmals eine Chance, anständig zu argumentieren. Ansonsten drücke ich wieder die Löschtaste. Auf den Mann gespielt wird in meinem Blog nicht.

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